WG153 – Briefentwurf an Alma Mahler
Wien, Montag, 3. oder Dienstag, 4. Juli 1911

Du bist nun heute wieder in
Deinen schönen Bergen, in
dem lieben Haus, das sich
meinem Gedächtnis unvergeßbar
deutlich eingrub. Deine Erinne-
rungen werden zu erst bei
weilen, dann – auch
bei mir. Komm – lebe wieder
unter den Lebenden! Du hast
so viel gelitten, Du sollst
nun Freude haben. Mir ist
heut morgen zu Mut, als
wären alle Brücken \Wege/ zwischen
uns wieder angebahnt und
ich erwarte mit Spannung \Ungeduld/ Deinen
ersten Brief.

Du sahst so unverändert

\(es ist selbstverständlich, daß Du elend aussiehst)/
lieb und jung aus, Deine
Gestalt, Deine Augen! Was
fürchtest Du denn? Du bist
von dauerhafter Rasse.

Ich mein Wunsch ist es, Dich

ganz mit Liebe zu durchtränken
damit Du alle Schmerzen vergißt.

Ein größeres Leid wie das in
München – Wien erlebte kann
kaum kommen. Ich empfinde
noch immer so jäh in diesem
Punkte, daß ich meine Gedanken
krampfhaft vermeide, daran
zu denken.
Was ist Lebensfreude? das
Erhalten so vieler \von/ Illusionen,
\etwa/ die \wir Wahrheiten nennen u glauben je stärker wir sind/ der verneinende Geist
im Menschen zerstören will
durch physische \die/ Kraft d. physischen

         Konstitution


Apparat

Überlieferung

, .

Quellenbeschreibung

1 Bl. (2 b. S.) – Briefpapier mit Aufdruck: „Hotel De France, Wien, I., Schottenring 3.“ ().

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

keine.

Datierung

Als WG diesen Entwurf verfasste, befand sich AM nach der gemeinsamen Zeit in Wien bereits wieder in Toblach (Du bist nun heute wieder in Deinen schönen Bergen). Zudem wurde WG153 am Morgen nach ihrer Abreise verfasst (heut morgen), wahrscheinlich noch in Wien, wie das Briefpapier des Hotel de France vermuten lässt. Da WG wahrscheinlich am 3. oder 4. Juli aus Wien abreiste und AM zwischen dem 2. und 4. Juli nach Toblach fuhr (s. WG152), wird als Datierung für diesen Entwurf der 3. oder 4. Juli 1911 vorgeschlagen.

Übertragung/Mitarbeit


(Fabian Müller)


A

München – Wien – Aufenthalt in München und Wien im September 1910.